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… immerfort schreiben, notieren, zeichnen, festhalten, strukturieren – all diese Tätigkeiten beschreiben das künstlerische Vorgehen von Barbara Skaliks. Ihre Werke – Arbeiten auf Papier meist mit Tusche, Tinte oder Blei- und Buntstiften ausgeführt – spiegeln eine persönliche Poesie, die ein autobiografisches und formales Archiv offen legt und den Betrachter in einen Kosmos von Vertrautem und von Erinnerungen eintauchen lässt. Akribisch und tagebuchartig notiert sie auf den Rückseiten, in welchem Zeitraum sie ihre Arbeiten gefertigt hat und so können Monate oder auch Jahre einem einzigen Zeichnungskomplex gewidmet sein, den sie ruhig, fein säuberlich, fast meditativ, mit großer Intensität und auch manchmal mit Humor ausführt. Der Wunsch des Ordnens und des Sichtbarmachens liegt ihrem künstlerischen Willen zugrunde und führt zu ungemein intensiven Werken, die berühren.
Was aber macht Barbara Skaliks’ Poesie genau aus? Völlig unabhängig und autark vom allgemeinen Kunstbetrieb und unabhängig von Kunstismen und diversen Bildsprachen findet sie einen Ausdruck für ihre persönlichen Anliegen. Sie arbeitet intuitiv und subjektiv, nach eigenen formalen ästhetischen Kriterien und ohne einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu stellen – sie macht ein visuelles Angebot, das als Fenster ihrer künstlerischen Seele Melancholie und latent brodelnde Emotionalität, aber dennoch auch Leichtigkeit und charmanten Humor durchlässt.
In ihren Zeichnungen und Schreibarbeiten – oft in Serien und formal Grenzen ignorierend gearbeitet – entwickelt sie Bildgestaltungen in unterschiedlichsten Formen und Varianten, Darstellungen von Menschen tauchen fast nie auf und wenn, dann nur als Zeichensymbole.
Betrachtet man ihre Arbeiten ohne Text, entdeckt man – mal zarte, mal kräftige – (ein-)farbige Flächen, Linien, Punkte, Gitter, gerissene Streifen oder Durchbrüche/-blicke, die die oft überlagernden, ineinander greifenden Strukturen sichtbar machen. kreuzungen oder straßen wege gassen tun sich auf und folgen in ihrer scheinbaren akribischen Objektivität dem „Ariadnefaden“ und legen eine brüchige, inne liegende, fast schmerzhafte Subjektivität frei. Oder eine Serie von miteinander verwebten, auf der Rückseite geschwärzten Papierstreifen, die eine ebenso schwarze Farbfläche überdecken, entsteht – sie spielen mit dem Erahnen von etwas darunter Liegendem, etwas Geheimnisvollen, was liebevoll und ‚ordentlich’ abgedeckt wird, aber sichtbar bleibt, da die Farbe an den Rändern durchbricht. Transparenz und Undurchsichtigkeit werden hier ausgelotet. Ebenso wie in den Arbeiten, in denen sie das Papier punktuell zerschneidet und nach oben aufrichtet – hier präsentiert sich eine ‚Gebirgslandschaft’, die ein Fenster nach innen zu sein scheint. Das Fenster – ein klassisches Motiv in der Kunstgeschichte – ist eine Metapher für die Schwelle zwischen Innen und Außen. Hier gibt es einen fokussierten Blick nach innen auf eine latent verdeckte Emotionalität frei, die man fast körperlich spürt und die auch in anderen Titeln wie riss bruch schnitt kitt offenbar wird. Die Künstlerin lotet in diesen rein formalen Arbeiten die Möglichkeiten von Farbe und vor allem von Papier aus – als Material und nicht nur als Träger von Farbe – und betont damit die Unendlichkeit an Varianten und Konstellationen, sei es indem sie das Papier einfärbt, schneidet, reißt, zerkratzt oder auch in ‚Zestenstreifen’ wieder anbringt. Licht und Schatten, Positivität und Negativität, Subjektivität und Objektivität, Transparenz und Geschlossenheit oder Grenzen und Öffnungen werden zu Gegensatzpaaren, die formal untersucht werden. Ebenso ist die Frage des Raumes und des Einnehmens von Raum ein wichtiges Thema – es geht einher mit dem Hinterfragen von Grenzen, die Barbara Skaliks formal ignoriert, indem sie über die Ränder zeichnet und schreibt.
Papierarbeiten, die zum Beispiel nur einer Farbe gewidmet sind – hier ist es das rosa als Synonym für eine ‚heile Welt’ – umfassen ein lichtes bis dichtes Geflecht aus Strichen, schmalen bis breiten Linien und Flächen, Überlappungen und farblichen Auslassungen oder Einschnitten. Souverän sind die Linien und Strukturen auf die Fläche gesetzt; auch sie spielen wieder mit den Polen Geschlossenheit und Durchlässigkeit und bilden in ihrer flüchtigen Leichtigkeit oder manifesten Form subtile Farbvarianten. Während die Kompositionen dabei vielleicht auf den ersten Blick willkürlich wirken, offenbaren sie in der näheren Betrachtung den intensiven Prozess ihrer Entstehung und Entwicklung. Auf diese Weise gehen die Strukturen und Varianten nur einer Farbe ein sensibles Gleichgewicht ein und lassen Blätter entstehen, die auch zwischen tiefenräumlicher Wirkung und ebener Fläche wechseln.
In zarten Zeichnungsserien, wie die mehrteilige innehalten oder glück in der kunst, die von der künstlerischen Geste her sowohl an Jackson Pollock als auch an Agnes Martin erinnern, widmet sie sich der (grenzenlosen) Linie und einem Strukturenkosmos, den sie durch Verdichten und Variieren erreicht. Explosionen wechseln sich mit Innehalten und Stille ab – eine große Qualität zeichnerischer Fertigkeit. Und in fast stofflich wirkenden Gebilden, wie die 17-teilige Arbeit selige zeiten brüchige welt untersucht Skaliks Strukturen, Öffnungen, Verdichtungen, Linien und Farbe(n), die miteinander verwoben sind, als seien sie als Kettenreaktion gefertigt worden – sie erinnern dabei an Karten von Landschaften einer eigenen Vorstellungswelt, Karten für viele Konstellationen und mit unendlich vielen Möglichkeiten. Und eine Arbeit wie kreisen scheint eben das mathematische Symbol des Unendlichzeichens zu variieren, während die 14-teilige Arbeit auf wiedersehen kinder eine kartografierte Unendlichkeit symbolisiert – farblich von der Erde über den Horizont bis zum Sternenhimmel und grenzenlosen Weltraum, welcher keinen Schlusspunkt zeichnerisch erhält, aber in der Arbeit einen zarten Anfang – und das ist die Linie, die formal der Gedankenflut und den Emotionen folgt. Laut Brockhaus bezeichnet „das Unendliche das Grenzenlose, unvorstellbar Große, Göttliche“ 1– und dieser Gedanke scheint nicht nur dieser Arbeit von Barbara Skaliks inne zu wohnen.
In den Arbeiten, in denen sich die Künstlerin dem Schreiben verpflichtet, wie das alphabet – ein großer Werkkomplex, der Assoziationen jeglicher Form zu den 26 Buchstaben des Alphabets umfasst – widmet Skaliks sich dem geschlossenen System von Zeichen, bzw. Buchstaben. Formal öffnet sie es zum einen durch das Durcharbeiten verschiedener Schrifttypen: Sie nutzt die Schönschreibschrift aus der Volksschulzeit, sie wechselt Groß-und Kleinschreibung mit Versalien ab. Damit strukturiert sie formal und ästhetisch das jeweilige A3-Blatt und begibt sich inhaltlich damit in verschiedene Lebensalter und Generationen, was die Aussage zu einer stellvertretenden macht. Diese Serie erinnert stark an Arbeiten mancher Art Brut-Künstler, unterscheidet sich jedoch deutlich durch das bewusst formulierte Anliegen. Inhaltlich öffnet sie dieses Schreibsystem außerdem, indem sie eigene Wortschöpfungen untermischt, die in keinem Duden stehen, wie zum Beispiel „Rißrasen“ oder „Stadelenstich “, was einen feinen, leisen Humor unterstreicht. Laut vorgelesen, ist man an Lautgedichte von Hugo Ball und an die „Ursonate“ Kurt Schwitters’ oder andere dadaistische Texte erinnert, in denen die Worte ihres Sinnes entleert und die Laute zu rhythmischen Klangbildern zusammengefügt werden. Allerdings kann man sich bei vielen von Skaliks benutzen Worten der Erinnerung und der emotionalen Assoziation nicht erwehren, wenn man Begriffe wie „Reispudding“ oder „samstags spielen“ liest/hört. Hier scheinen sich hinter jedem Begriff eine Welt zu offenbaren und Geschichten zu verstecken.
Die 19-teilige Arbeit schreiben und zeichnen bildet formal die Brücke zwischen eben diesen beiden künstlerischen Strategien und legt eine große Subjektivität und Intimität offen, beziehungsweise deckt sie formal zu. Hier nimmt die Künstlerin Briefe an sie und von ihr als Basis für ihre künstlerischen Ausformulierungen: Mal werden die Worte unleserlich übereinander geschrieben, mal mit Schwarz durchgestrichen oder mal mit Rot, was sie wichtiger erscheinen lässt, mal werden sie offen gelassen, mal mit weißer Farbe abgedeckt und mal bleiben die Worte „Auslöschung meiner Auslöschung“ lesbar oder ein Kinderlied wird fein säuberlich notiert, das letzte Blatt der Arbeit deckt einen theoretisch lesbaren Psalm komplett zu. In diesem Werkkomplex ist die Balance zwischen Subjektivität und Objektivität und zwischen Form und Inhalt fein nuanciert ausgelotet.
pain killer stellt ebenso eine Verbindung zwischen den Schreib- und den Zeichnungsarbeiten dar, zumindest, was den Umgang mit der rosa Farbe anbelangt: Verschiedene Stifte und Stärken werden eingesetzt, sodass die mehrteilige Arbeit, im Ganzen präsentiert und von Weitem betrachtet, wie eine verschieden rosafarbige, horizontal aber heterogene Landschaft aussieht. Fast obsessiv und ungeachtet der Blattränder schreibt und schreibt sie – den Atlas ihres Lebens anhand verschiedener Texte, die sie geprägt haben und immer noch prägen: Märchen, die Bibel, Lyrics von Bob Dylan und anderen Musikern, politische Texte, Textpassagen von Bertolt Brecht und Victor Jara, Daten und Orte, zu denen sie gereist ist, wie in den Iran, nach Afghanistan oder in die Konzentrationslager Buchenwald und Auschwitz, als auch Briefe und eigene Notizen und Texte. Um einen tief inne liegenden Schmerz zu lindern und zu verarbeiten, ordnet und strukturiert die Künstlerin mittels der ‚heile Welt’ Farbe Rosa mit unterschiedlicher Palette ihre Gedanken und lässt den Leser und Betrachter in eine sehr komplexe Welt eintauchen.
In Barbara Skaliks’ Werk geht es nicht um Äußerlichkeiten und nicht um Mainstream, sondern um innere Bilder und Welten sowie um das Sichtbarmachen von Strukturen und persönlichen Gedanken auf Papier – sei es durch die Linie und Farbe oder durch die Schrift. Das Schreiben und Zeichnen dienen ihr der Erinnerung, der Vergegenwärtigung und auch der Verarbeitung, die formal scheinbar objektiv ausgearbeitet ein Angebot sind. Die Variationen eines Themas in Serien und das Überschreiten formaler (Papier-)Grenzen belegen das große Bedürfnis der Künstlerin, immerfort zu schreiben und zu zeichnen. Es ist eine künstlerische Erzählung von Unendlichkeit anhand autobiografischer Gedanken und poetischer Formensprache.
Susanne Kleine, Oktober 2015
1 Der Brockhaus, Band 14, S. 303, F.A. Brockhaus GmbH, Leipzig – Mannheim 1998